Ein Tag in der DVG-Fahrschule

Wie wird man Straßenbahnfahrer*in bei der DVG?

Jürgen Görg ist seit über 30 Jahren bei der DVG. Er hat damals selbst als Straßenbahnfahrer, heute bildet er als Fahrschullehrer das Fahrpersonal von morgen aus. „Ich habe damals meinen Kindheitstraum zum Beruf gemacht”  schwärmt Görg vom Leben als Bahnfahrer. Heute möchte er seine Leidenschaft für den Beruf an seine Fahrschüler*innen weitergeben.

Drei Monate dauert die Ausbildung zum/zur Straßenbahnfahrer*in. Um sich für die Ausbildung zu bewerben, muss man:

  • mindestens 21 Jahre alt sein,
  • einen Pkw-Führerschein besitzen,
  • mindestens 4 Jahre Fahrpraxis und ein sauberes Führungszeugnis haben.
  • Der Betriebsarzt stellt außerdem fest, ob man körperlich geeignet ist.

„Um eine Straßenbahn zu fahren, braucht man nämlich echte Adleraugen,” sagt Görg: „Man hat eine große Verantwortung. Schließlich bringt man jeden Tag Hunderte Menschen von A nach B, die sich auf dich verlassen. Das wird häufig unterschätzt.” 

Theorie und Praxis — das müssen Fahrschüler*innen wissen

In diesem Lehrgang sind drei Fahrschüler, die bereits einen Bus-Führerschein besitzen und für die DVG unterwegs sind. Bevor sie heute zum ersten Mal mit dem Fahrschulwagen auf die Strecke dürfen, mussten sie zuerst 60 Stunden Theorie pauken. Zum Theorieunterricht gehören unter anderem die Fahrzeugtechnik, Straßenbahn-Signale und die Straßenverkehrsordnung. Der Unterschied zum Pkw oder Bus ist, dass die Bahn ihre eigenen Signale im Straßenverkehr und Schalter im Fahrzeug hat.
Görg setzt vor allem auf das selbstgesteuerte Lernen. „Hierbei bekommen meine Fahrschüler kleine Hilfsmittel, mit denen sie ein vorgegebenes Ziel erarbeiten müssen”. Konkret bedeutet das: Das vorgegebene Ziel ist beispielsweise eine Darstellung des U-Bahn-Tunnelsystems, Hilfsmittel sind Gleis- und Orientierungspläne sowie Strohhalme. Dann wird aus der Theorie schnell Praxis. Mithilfe der Strohhalme bauen die Fahrschüler die Tunnelröhre nach. So lernen sie auch direkt, was für Fahrgäste kaum zu erkennen ist: Die Bahn wechselt bei der Fahrt im Tunnel die Ebene.

Der Fahrzeugcheck

Bevor der rot-weiße Fahrschulwagen 1000 seine Fahrt aufnimmt, müssen die Fahrschüler den Fahrzeugcheck machen. Dazu gehören unter anderem das Prüfen der Bremsen und der Totmanneinrichtung. „Der Totmannschalter ist nahezu das erste, was ich meinen Schützlingen in der Praxis zeige”, erklärt Fahrschullehrer Görg. Das Fahrpersonal muss ihn während der gesamten Fahrt betätigen. So wird sichergestellt, dass der/die Fahrer*in anwesend und handlungsfähig ist. Wenn nicht, löst der Totmannschalter zuerst ein akustisches und optisches Signal und im Anschluss eine Bremsung aus. „Fahrzeugcheck erledigt”, ruft einer der angehenden Bahnfahrer.

Die erste Fahrt

Die Bahn rollt langsam los. An der Ausfahrt vom Bahnbetriebshof Grunewald stoppt sie. Der Fahrschüler weiß genau, was nun zu tun ist: Er meldet das Fahrzeug bei der DVG-Leitstelle an, „damit die Leitstelle Bescheid weiß, dass wir auf der Strecke sind”. Dann geht es mit dem über 50 Jahre alten DVG-Fahrschulwagen los. Jürgen Görg hat hinter dem Fahrschüler Platz genommen. Von dort aus hat er wie in einem Fahrschulauto immer die Möglichkeit einzugreifen. „Von hier überwache ich meine Schüler und spiele zugleich die Nervensäge”, erklärt der Fahrschullehrer lachend. Damit meint er, dass er die sogenannten Simulationsschalter drückt. „Das sind Knöpfe und Schalter, mit denen ich Störungen simulieren kann, zum Beispiel eine Türstörung. Das ist wichtig, denn solche Störungen können im Alltag genauso auftreten.”

Der 1000er bahnt sich seinen Weg Richtung U-Bahn-Tunnel. „Hey hey, nicht so schnell”, gibt Görg an seinen Schützling weiter, während die Bahn beim Anfahren ruckelt. „Die Reifen drehen durch. Das kann bei der Bahn genauso passieren wie beim Pkw.” Alle Fahrschüler sind während der Fahrstunden dabei, um von möglichen Fehlern der anderen zu lernen und Erfahrungen zu sammeln.

Insgesamt muss man etwa 120 Theoriestunden und 60 Fahrstunden absolvieren, bevor es in die Prüfung durch die DVG-Betriebsleiter geht.

Jürgen Görg auf seinem Platz im Fahrschulwagen 1000

Nicht nur ein Beruf, sondern eine Berufung

Für Jürgen Görg ist die Aufgabe als Fahrlehrer seine Berufung. Dafür musste auch er verschiedene Prüfungen ablegen, unter anderem die Ausbildungseignungsprüfung: „Ich kenne die Prüfungssituation ziemlich gut und weiß, wie stressig sie sein kann." Einmal im Jahr besucht er eine Fahrlehrerweiterbildung, an der auch andere Verkehrsunternehmen bundesweit teilnehmen. „Das Netzwerk nutze ich auch um beispielsweise Lehrmaterial auszutauschen".

Abschluss- und Zwischenprüfung

Die Durchfallquote der Abschlussprüfung ist gering, dafür sorgt Görg mit seinen drei Kollegen, die ebenfalls ausbilden. Bevor Fahrschüler*innen in die Abschlussprüfung gehen, müssen sie zunächst eine Zwischenprüfung ablegen. Neben den Fahrschüler*innen bildet Görg auch Fahrschullehrer*innen aus, denn auch hier muss für Nachwuchs gesorgt werden. Frank Bobrowski, der seine Ausbildung zum Fahrlehrer auch bei Jürgen Görg absolviert hat, erklärt: „Am Ergebnis der Zwischenprüfung können wir gut einschätzen, wie weit die Fahrschüler mit ihrem Wissen sind. Stellen wir fest, dass ein Fahrschüler hinterher hinkt, versuchen wir natürlich ihn auf Spur zu bringen. Es tut uns im Herzen weh, wenn wir uns von jemandem trennen müssen." Das käme jedoch sehr selten vor.

Was man außerdem lernt

Im Rahmen der Grundausbildung werden die Fahrschüler zusätzlich in Erste-Hilfe, Deeskalation und Verhalten in Notfällen geschult. Wenn man Jürgen Görg fragt, was das prägnanteste Ereignis in seiner Laufbahn war, winkt er cool ab: „Mich kann nichts schocken. Das Verhalten der Verkehrsteilnehmenden hat sich stark verändert, sodass man immer mit allem rechnen muss. Da guckt kaum einer mehr nach links oder rechts oder hört das Läuten der Bahn — wie auch mit Stöpseln im Ohr", sagt er und zuckt die Schultern. „Unser Fahrpersonal muss heute viel aufmerksamer sein als früher. Sie müssen um die Ecke gucken können. Mit der Bahn können wir eben nicht mal eben ausweichen."

An ein außergewöhnliches Erlebnis erinnert er sich dennoch gut. In einer Fahrstunde habe ein Lkw die Bahn gestreift und einen Außenspiegel abgefahren. „Wir hatten gerade einen Fahrgastwechsel an der Haltestelle simuliert, da kam der Lkw angerauscht", erinnert sich Görg. „Es hat ordentlich geknallt. Unser Fahrschüler war richtig von den Socken. Ich musste ihn erstmal beruhigen. Manchmal ist man eben auch ein bisschen Psychologe und Kumpel in der Not."